16. Juni 2021 AO_IQS_HP

Normen werden regelmäßig alle vier Jahre einer Kontrolle unterzogen, ob sie noch den Stand der Technik wiedergeben. Die DIN EN 1090-2 mit der Änderung A1 stammt aus dem Jahr 2011. Es war also an der Zeit, zumal es auch einige Gründe gab, diese Norm anzupassen. Dabei spielt nicht so sehr der Stand der Technik den ausschlaggebenden Faktor, sondern das europäische Recht. Da diese Norm ein Bestandteil der europäischen Harmonisierung im Bereich der Bauprodukte ist, musste die Überarbeitung der aktuellen Rechtslage angepasst werden. Hier liegen auch die wesentlichen Änderungen begründet. Rein quantitativ betrachtet, hat die neue Norm mit 214 Seiten nur sechs Seiten mehr und kann beim Beuth Verlag für 334,30 Euro von jedem erworben werden. Günstiger bekommt man diese wichtige Norm in Taschenbüchern, die allerdings erst in Kürze verfügbar sein werden. Und wer meint, dass diese eine Norm ausreicht, um Tragwerke und Bausätze aus Stahl fertigen zu können, wird enttäuscht, denn einige wichtige Informationen sind nur in weiteren Normen, wie z.B. der Berechnungsnorm DIN EN 1993 (Eurocode 3) zu finden.

Die erste wichtige Änderung betrifft die Bestimmung der Ausführungsklassen. War dies bislang im Anhang B der DIN EN 1090-2 mit den Tabellen zur Beanspruchungskategorie (SC) und Herstellungskategorie (PC) sowie der Tabelle B.3 mit der Matrix für die Bestimmung der Ausführungsklassen (EXC) geregelt, muss man nun in den Anhang C der Berechnungsnorm DIN EN 1993-1-1/A1:2014-07 schauen. Die dortige Tabelle C.1 –ist neu, jedenfalls wenn es um die Auswahl der Ausführungsklassen (EXC) geht.

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Unter der Anmerkung 1 steht, dass jedes europäische Mitgliedsland im nationalen Anhang festlegen darf, ob dieses nach der Zuverlässigkeitsklasse (RC) oder Schadensfolgeklasse (CC) oder beiden die Ausführungsklassen bestimmt. Also braucht man den nationalen Anhang, die DIN EN 1993-1-1/NA:2017-09 und findet dort, dass Deutschland nach den Schadensfolgeklassen und der Konstruktionsart die Ausführungsklassen festlegt. Hier findet man dann auch die Auflistung, was in die Ausführungsklassen (EXC) 1 bis 4 fällt. Diese Liste ist allerdings nicht neu und darum ist die Änderung in der DIN EN 1090-2 nicht gravierend, aber der Weg zur Liste ist neu und unter rechtlichen Gesichtspunkten nun auch eindeutig. An dieser Stelle sei auch der Hinweis erlaubt, dass in der genannten DIN EN 1993-1-1:2014-07 unter Anmerkung 2 steht, dass in DIN EN 1090-2 festgelegt wird, dass die Ausführungsklasse 2 gilt, wenn keine Ausführungsklasse vorgegeben wird. Dieser Satz ist aber in der neuen DIN EN 1090-2:2018-09 nicht mehr enthalten und führt somit in Leere.

Eine weitere wesentliche Neuerung ist, dass dünnwandige Konstruktionselemente, wie Trapezbleche oder aus gekanteten Blechen hergestellte tragende Bauprodukte einen eigenen und ebenfalls neuen Teil der DIN EN 1090 erhalten haben. Daher ist zeitgleich mit der neuen DIN EN 1090-2 auch die DIN EN 1090-4 veröffentlicht worden. Entsprechend entfallen die im alten Teil 2 enthaltenen Kapitel, wie z.B. 8.8 Befestigung dünnwandiger Bauteile, komplett.

Ebenfalls neu ist, dass die DIN EN 1090-2:2018-09 nun auch für das Schweißen von Betonstählen an Baustähle gilt. Bis dato galt hier die DIN EN ISO 17660, die auch weiterhin für Verbindungen zwischen Betonstählen gilt. Diese Neuerung dürfte alle die freuen, die bislang bei entsprechenden Anfragen, meist von Betonteilherstellern für Ankerplatten, ablehnen mussten. Nichts desto trotz, müssen die in der DIN EN ISO 17660 beschriebenen Anforderungen bei derartigen Verbindungen berücksichtigt werden.

An einigen Stellen werden die alten Begriffe durch andere ersetzt. So heißen die Konstruktionsmaterialien nun Ausgangsprodukte. Auch die Tabelle 1 mit den Prüfbescheinigungen birgt eher wenig Neues. Bei den Baustählen kann für den S235J2 auf das 3.1 Zeugnis verzichtet werden. Und bei den Schraubengarnituren unterscheidet man jetzt die HV-Schraube mit einem 3.1 und die normale Stahlbauschraube mit einem 2.2 Zeugnis. Neu ist auch das recht umfangreiche Kapitel 5.4 zum Thema Stahlguss.

Zwei wichtige technische Veränderungen sind zu den Themen Schneiden und Warmumformung enthalten. Zum einen werden die als kritisch betrachteten Verhältnisse für thermische Schnitte deutlicher als bisher beschrieben. So heißt es nun in der neuen Fassung: „Bei einigen Schneidverfahren sollten Vorkehrungen getroffen werden, wenn die Schnittkanten freie Schnittkanten (d.h. Kanten, die anschließend nicht verschweißt werden sollen) für ermüdungsbeanspruchte Bauteile sind.“ Zudem heißt es weiter: „Bei Baustählen ≥ S460 darf die Härte freier Schnittkanten nicht mehr als 450 (HV10) betragen. Damit sollte nun klar sein, dass die Forderung erstens für ermüdungsbeanspruchte Bauteile und nur für freie Schnittkanten gilt. Zudem muss ein Nachweis erst ab S460 geführt werden, weil es darunter nun keine Anforderungen gibt. Zu erwähnen sei noch, dass bei freien Schnittkanten, aus korrosionsschutztechnischer Sicht zur Vorbereitung für das Beschichten nach ISO 8501 das Beschleifen und somit eine Reduzierung der Härte erforderlich macht. Damit ist die, aus meiner Sicht, unbegründete Forderung eines Nachweises bei „normalen“ unlegierten Baustählen bis einschl. S355 vom Tisch. Wer Hilfestellungen bei der Überprüfung thermischer Schneidprozesse sucht, wird beim Anhang D fündig.

Stähle nach EN 10025-4 und der Lieferzustand +M nach EN 10025-2 sowie nichtrostende Stähle sind vom Warmformgeben ausgeschlossen. Hierzu sei angemerkt, dass schon in der DIN EN 10025-2 für den Lieferzustand +M ein nachträgliches Erwärmen über 580°C als äußerst kritisch dargestellt wird. Da drängt sich schon mal die Frage auf, warum in einer Norm für schweißgeeignete unlegierte Stähle eine Sorte auftaucht, die man möglichst nicht über 580°C erwärmen soll. Zudem erscheint sehr fragwürdig, wieso das Legierungselement Kupfer (Cu) in einer solchen Norm für unlegierte Baustähle die Grenze der nach DIN EN 10020 zulässigen Höchstmenge deutlich überschreiten darf. Aber das ist ein anderes Thema.

Die meisten Änderungen, wen wundert es, gibt es beim Thema Schweißen.

Zunächst einmal werden die Schweißprozesse nicht mehr einzeln aufgeführt, sondern nur noch auf die EN ISO 4063 verwiesen. Damit sind alle bekannten Schweißprozesse nun für die Herstellung von Stahltragwerken zulässig. Damit wäre jetzt auch das Gasschweißen mit Acetylen-Sauerstoff-Flamme (311) wieder zugelassen.

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Bei der Qualifizierung von Schweißverfahren wird die neue EN ISO 15614-1 berücksichtigt. Allerding nur Stufe 2, wobei nach meiner Meinung im Bereich der EXC2 auch eine Stufe 1 möglich gewesen wäre. Ansonsten ist die Tabelle prinzipiell gleich geblieben, auch wenn der Hinweis bei den Methoden nach EN ISO 15610 bis EN ISO 15612 mit den Indizes a und b entfällt. Die Einschränkung auf die Werkstoffgruppe 1.1 (≤ S275) findet sich in der EN ISO 15610 und bedarf daher nicht des Hinweises mit einem Index.

Ein weiteres Highlight ist bei der sogenannten Kreuzzugprobe zu finden. War diese Probe bislang oberhalb des S275 gefordert, so ist diese jetzt erst bei Stahlsorten ≥ S460 erforderlich. Eine solche Kreuzzugprobe macht, nach meiner Einschätzung, sowieso nur bei hochfesten Stählen oder Feinkornbaustählen wirklich Sinn.

Die wohl gravierendste Änderung findet in der Bewertung von Schweißnähten statt. Die bislang recht einfache und übersichtliche Bewertung von Schweißnahtunregelmäßigkeiten ist in ein recht komplexes System für die Abnahmekriterien mit „Routineanforderungen“ und „Anforderungen bezüglich Ermüdung“ sowie einer zusätzlichen „Projektspezifischen Inspektion und Prüfung“ übergegangen. Nachvollziehbar ist die Betrachtung der Kerbfälle für ermüdungsbeanspruchte Bauteile. Die Tabelle 24 für die ergänzende zerstörungsfreie Prüfung (ZfP) wurde diesbezüglich überarbeitet.

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Hier fällt spontan auf, dass in dieser Tabelle erstmals die Ausführungsklasse EXC1 auftaucht. Und dann steht überall 0%. Nur ein Index b verweist auf eine ergänzende ZfP für Stähle ≥ S420. Zumindest im deutschen nationalen Anhang zur EN 1993-1-1 gilt die Ausführungsklasse EXC1 nur für Werkstoffe bis einschl. S275, d.h. für Deutschland ist diese Spalte nicht relevant.

Positiv ist auch, dass für Kehlnähte in der EXC2 erst ab a>12mm und t> 30 mm jetzt mehr Luft nach oben ist. Das spart viele Eindringprüfungen, gerade bei kleinen Betrieben.

Ein riesiges Problem ist jedoch die erste Spalte für die Stumpfstöße. War bislang noch der Ausnutzungsgrad (U ≥ 0,5) als Kriterium zu überschreiten, gilt die neue Tabelle für alle Stumpfnähte. D.h. alle Stumpfnähte in der EXC2 wären, unabhängig von ihrer Ausnutzung, mit 10% zu prüfen. Und dies, nach EN ISO 17635, mittels Ultraschallprüfung oder Röntgenprüfung. Diese Prüftechnik hat so gut wie kein klein-und mittelständiger Betrieb zur Verfügung. Die Kosten dieser Forderung dürften extrem sein.

Aber da hilft ja vielleicht die neue „Projektbezogene Inspektion und Prüfung“, bei der in EXC1, EXC2 und EXC3 Anforderungen an die Prüfung benannt werden dürfen. In der EXC 4 müssen diese sogar benannt werden. Hierzu gibt es Schweißnahtklassen (WIC = weld inspection classes), die die Kritikalität der Schweißnaht berücksichtigen soll. Im Anhang L sind die Kriterien in zwei Tabellen aufgeführt. Ein durchgeführter Selbstversuch hat aber kein positives Ergebnis gebracht, so dass dieser Weg wohl eher eine Sackgasse scheint.

Zum Schluss kann man sicherlich sagen, dass es eine Vielzahl von Änderungen gibt. Einige sind eher klein, weil sich nur die Begriffe ändern, andere sind groß. Jeder, insbesondere all diejenigen, die Spezialisten auf ihrem Gebiet sind, werden die Änderungen unterschiedlich bewerten.

In einem selbst erstellten Ranking gewinnen die Vorteile gegenüber der alten Ausgabe mit 7 zu 5 Punkten. Das freut zwar, aber der Blick auf die Tabelle 24 trübt diese Freude ungemein. Es besteht ein wenig Hoffnung, dass es vielleicht schnell eine Änderung A1 gibt oder jemand einen Weg findet, dieses Dilemma aus der Welt zu schaffen. Ansonsten wird in 4 Jahren diese Norm erneut auf den Prüfstand gestellt. Auf jeden Fall bleibt es weiter spannend.