16. Juni 2021 AO_IQS_HP

Dieser Entwurf ist längst überfällig, weil durch die Verordnung EU 305/2011 seit dem 01.07.2013 die alten Konformitätsregeln nicht mehr galten, die Norm aber weiterhin anzuwenden war. Das schaffte große Unsicherheit und auch unterschiedliche Standpunkte zur CE-Kennzeichnung. Besonders erfreulich ist, dass die Deklarationsverfahren nun endlich Geschichte geworden sind. Für die Einen waren diese fast wie ein Evangelium, für die Anderen nur Beispiele für eine mögliche Deklaration der Produkteigenschaften.

Positiv ist am Entwurf, dass dieser nur noch den halben Umfang hat. Von ehemals 45 Seiten sind es aktuell 22 Seiten. Wesentlich umfangreicher ist der erste Punkt, der Anwendungsbereich. Dieser macht sehr deutlich, dass die Bauprodukte ausschließlich Einfluss auf die mechanische Festigkeit und Standsicherheit eines Bauwerkes haben müssen und man listet 44 (Bau-) Produkte auf, die diese Anforderung nicht erfüllen. Das ist auf der einen Seite gut und schafft ein wenig mehr Klarheit, wobei damit auch der nationale Anhang von DIN EN 1993-1-1/NA:2017-09 anzupassen ist.

Gleichzeitig fragt man sich, was passiert denn jetzt, z.B. mit den Geländern oder Balustraden und den Ankerplatten? Viele, insbesondere kleine Unternehmen, leben von der Flexibilität ihrer Fertigung. Neben der einfachen Stütze oder dem Träger für ein Bauwerk, werden Elemente gefertigt, die die Grundanforderung für Bauwerke 4 – Sicherheit und Zugänglichkeit bei der Nutzung- betreffen. Eine zusätzliche Norm und eine zusätzliche Zertifizierung schaffen nur Frustration bei den kleinen Unternehmen, zumal die Anforderungen für eine Herstellung ziemlich ähnlich sein dürften. Auch wenn ich selbst wenig Chancen sehe, hier noch das Ruder herum zu reißen, möchte ich nicht versäumen, den Wunsch zu äußern, den Anwendungsbereich (Scope) der EN 1090-1 neben der Grundanforderung 1 – mechanische Widerstandskraft und Stabilität – um die Grundanforderung 4 – Sicherheit und Zugänglichkeit bei der Nutzung – zu erweitern.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zur alten EN 1090-1 ist, dass die maßgeblichen Merkmale wesentlich weniger wurden. Hinzu gekommen ist die (Bestätigung der) Ausführungsklasse. Entfallen sind Schweißeignung, Bruchzähigkeit oder Schlagfestigkeit, die Ermüdungsfestigkeit und die Verformung im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit, sowie die Freisetzung von Cadmium und dessen Verbindungen und die Freisetzung radioaktiver Strahlung. Letztere beiden wurden sowieso mit NPD (no performance determined) deklariert.

Eine recht auffällige Abkürzung in dem Entwurf ist

AVCP – Assessment and Verification of Constancy Performance

zu Deutsch:

Bewertung und Überprüfung der Leistungsbeständigkeit.

Nach dem Anhang ZA.1 sind die „Wesentlichen Merkmale“ nun:

  • Werkstoffeigenschaften der Ausgangsprodukte

Die verwendeten Ausgangsprodukte müssen mit den Anforderungen verglichen und die Erfüllung der Anforderungen bestätigt werden. Bezieht man diese Forderung zum Beispiel auf Bleche oder Formstähle, so gilt es die Anforderungen aus der statischen Berechnung oder der Kundenforderung mit den mitgelieferten Dokumenten, wie z.B. der Materialbescheinigung zu prüfen und die Erfüllung zu bestätigen. Da der Ausdruck „Ausgangsprodukte“ alle möglichen Komponenten umfasst, sind auch Prüfberichte, Prüfbescheinigungen und Konformitäts- oder Leistungserklärungen adäquate Mittel, die Erfüllung der Anforderungen zu dokumentieren und in der Leistungserklärung zu bestätigen. In der zu erstellenden Leistungserklärung sind zwei Optionen dargestellt:

  • Option 1: Übereinstimmung mit Werkstoffnorm (z.B. Materialprüfzeugnis)
  • Option 2: Übereinstimmung mit Spezifikation
  • Ausführungsklassen

Es muss überprüft und bestätigt werden, dass die Ausführungsklasse des Herstellers oder (Unter-) Lieferanten, der geforderten Ausführungsklasse entspricht bzw. einschließt. Die Ausführungsklasse muss zu Beginn der Arbeiten festgelegt sein. Dies kann durch die statische Berechnung oder durch den Auftraggeber erfolgen.

  • Maße, Form und Toleranzen

Die Einhaltung von Maßen, Formen und Toleranzen dient der Sicherung der Standsicherheit. Das bedeutet, dass die in der statischen Berechnung oder der Kundenspezifikation gemachten Vorgaben auf deren Einhaltung geprüft werden müssen und die Einhaltung bestätigt werden muss. Für die Ausführung von Stahltragwerken sind hierzu 37 Seiten im Anhang B der neuen DIN EN 1090-2:2018-09 enthalten.

  • Tragfähigkeit

Unter Abschnitt 5.4 wird eindeutig klargestellt, dass die Tragfähigkeit von Bauteilen aus Stahl- oder Aluminium, auf der Berechnung nach Eurocode beruht. Demzufolge kann in der Leistungserklärung entweder auf die verwendete statische Berechnung verwiesen werden oder es werden charakteristische (Widerstands-) Werte der Tragfähigkeit angegeben.

  • Dauerhaftigkeit der Tragfähigkeit

Die Dauerhaftigkeit der Tragfähigkeit meint den Korrosionsschutz. Ob verzinkt, thermisch gespritzte metallische Schicht oder organische Beschichtung, alles ist ggf. in der Leistungserklärung zu bestätigen. Unter dem Punkt können auch der verwendete Werkstoff bzw. seine Eigenschaften bezüglich der Dauerhaftigkeit (nichtrostender oder wetterfester Stahl) oder eine Spezifikation genannt sein.

  • Brandverhalten

Das Brandverhalten von Bauteilen aus Stahl, nichtrostenden und wetterfesten oder verzinktem Stahl, sowie Aluminium und eloxiertem Aluminium entspricht der Klasse A1. Bauteile mit organischen Beschichtungen müssen nach EN 13501 geprüft und eingestuft werden.

Neu, weil jetzt im Teil 4 und 5 erfasst, sind die profilierten Bleche (z.B. Trapezbleche) mit Polyester-Beschichtung. Sie werden als separater Punkt behandelt, aber sind doch Bestandteil des Merkmales Brandverhalten. Hinzu kommt die Unterscheidung, ob das Feuer von innen (5.6) oder von außen (5.7) wirkt.

Bevor der Hersteller die wesentlichen Merkmale in seiner Leistungserklärung (DoP – Declaration of Performance) erklären darf, muss er mittels

  • Bestimmung des Produkttyps und
  • einer werkseigenen Produktionskontrolle (WPK)

den Nachweis für die „Wesentlichen Merkmale“ erbringen. Der Hersteller muss die Oberaufsicht haben und er trägt die Gesamtverantwortung, auch für Produkte die z.B. CE-Kennzeichnung tragen.

Neu ist, dass der Begriff Erstprüfung durch die Typprüfung ersetzt wird. Damit wird auch deutlich, dass die Auffassung mancher Prüfinstitute, sie seien gefordert diese Erstprüfung durchzuführen, widerlegt ist.

Die Typprüfung beinhaltet eine ausführliche Bewertung der wesentlichen Merkmale. Diese Prüfungen sind in einem Prüfbericht zu dokumentieren und für die Dauer von mindestens 10 Jahren aufzubewahren. Sind die Ergebnisse der Typprüfung ausreichend, so kann der Hersteller künftige gleichartige, zu Familien zusammengefasste Produkte herstellen, wenn er die Werkseigene Produktionskontrolle durchführt und damit eine gleichbleibende Produktqualität sicherstellt.

Die Werkseigene Produktionskontrolle (WPK) ist ein dokumentiertes System, welches sicherstellen soll, dass die bei der Typprüfung festgestellten „Wesentlichen Merkmale“ erreicht werden.

Hierzu hat der Hersteller:

  • die angewendeten Herstellungsverfahren oder –prozesse sowie
  • die regelmäßigen Inspektionen und Prüfungen;
  • mit den verwendeten Ausgangsprodukten und anderen zugelieferten Materialien oder Bauteilen

in schriftlicher Form und in systematischer Weise zu dokumentieren.

Zwar steht nirgends der Begriff Handbuch, aber wie sonst sollte die Forderung nach „in schriftlicher Form und in systematischer Weise“ erfüllt werden können.

Im Weiteren wird gefordert:

  • Aufgaben und Verantwortungen müssen festgelegt und dokumentiert sein;
  • Nachweis der Fachkompetenz von Personen, die die Leistungsbeständigkeit des/der Produkte(s) beeinflussen;
  • Verfahren und Vorgehensweise bei Nichterfüllung der Leistungsbeständigkeit (Nichtkonformität und Korrekturmaßnahmen);
  • Aufzeichnungen über den Herstellungsprozess sowie die Ergebnisse der Überprüfungen und Prüfungen am Produkt; hierzu zählt auch:
    • Wiege-, Mess- und Prüfeinrichtungen müssen kalibriert und geeignet sein;
    • Maschinen und sonstige Fertigungseinrichtungen müssen regelmäßig überprüft und gewartet werden;
    • Ausgangsprodukte müssen entsprechende Zeugnisse oder Dokumente aufweisen;
    • die Rückverfolgbarkeit der einzelnen Produkte und Dokumente muss sichergestellt sein;
    • Kontrollen und Prüfungen müssen dokumentiert sein.

Bei der Untervergabe von Teilen- oder auch der gesamten Herstellung, ist der Hersteller (früher auch als Inverkehrbringer gezeichnet) für die Gesamtkontrolle zur Erfüllung der „Wesentlichen Merkmale“ nach der DIN EN 1090-1 verantwortlich. Ergebnisse der „Werkseigenen Produktionskontrolle“ durch den Subunternehmer dürfen berücksichtigt werden, wobei die Gesamtprüfung und die Verantwortlichkeit nicht auf den Subunternehmer übertragen werden darf.

Der Begriff „Nicht-Gleichmäßigkeit“ im Abschnitt 6.3.2.1 ist als Übersetzung vom englischen Begriff „constancy“ nicht sonderlich gut geeignet. Man kann den Begriff auch mit Beständigkeit übersetzen, daher wäre mein Vorschlag, den Begriff der „Leistungsbeständigkeit“ oder in Fällen der „Nicht-Leistungsbeständigkeit“ zu übersetzen, was dem inhaltlichen Sinn des Textes entsprechen würde.

Aufgaben der Zertifizierungsstelle bleiben, wie gehabt:

  • die Erstinspektion des Werks und der Werkseigenen Produktionskontrolle, sowie
  • die laufende Überwachung der Werkseigenen Produktionskontrolle.

Im Gegensatz zur ersten DIN EN 1090-1, wo es im Rahmen der Erstinspektion lediglich das System der „Werkseigenen Produktionskontrolle“ zu prüfen galt, steht nunmehr die praktische Anwendung der WPK im Pflichtenheft für die Zertifizierungsstelle. Die laufende Überwachung beinhaltet die Überprüfung der Produktionseinrichtungen und der Auszeichnungen während des Produktionsprozesses und der Prüfungen an den Endprodukten.

Dem Ausdruck „Übliche Überwachungsintervalle“ ist der Begriff „Routinemäßige Überwachungsintervalle“ gefolgt. Die Zeiträume sind unverändert. Änderungen am Produkt, am Produktionsprozess oder im System der WPK sind der Zertifizierungsstelle mitzuteilen, die ggf. eine erneute Inspektion durchführen muss. Allerdings entfällt die bislang geforderte jährliche Bestätigung durch den Hersteller, sofern keine routinemäßige Inspektion durchgeführt wird.

Fazit

Die neue DIN EN 1090-1 ist nicht nur schlanker geworden, sondern sie passt sich den rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Verordnung EU 305/2011 an. Insbesondere der Prozess Schweißen hat keinen Sonderstatus mehr. Weder in der Leistungserklärung, noch bei der Erstinspektion oder im zusätzlich geforderten Schweißzertifikat, ist dieser wichtige Prozess zu finden. Jedoch sollte man bedenken, dass gerade in Deutschland eine große Nachfrage seitens potenzieller Auftraggeber besteht, die Kompetenz in Sachen Schweißen erkennen zu können. Es wird somit eine künftige Herausforderung der Zertifizierungsstellen, die Fachkompetenz im Sinne der Hersteller zu bestätigen. Und diese Bestätigung sollte nicht dem Zufall überlassen werden, sondern auf dem Nachweis der Kompetenz, nämlich der Akkreditierung einer Zertifizierungsstelle, z.B. nach der ISO 3834, beruhen.